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Fund des Monats

Juli 2007: Heißkleber im Werkzeugtäschchen

Birkenpech mit Bastabdrücken aus einem schnurkeramischen Grab bei Halle

Wenn Archäologen eine schnurkeramisches Bestattung ausgraben, so erwarten sie Knochen, Steingeräte und Scherben. So auch jüngst, östlich von Halle. Auf einem ziemlich kleinen Grabungsareal bei Reideburg stießen sie auf zwei schnurkeramische Gräber und zeitgleiche Siedlungsgruben. Gerade die Grabgruben brachten zahlreiche chronologisch ansprechbare Funde hervor. Allerdings waren die Skelette im sandigen Boden nicht mehr erhalten. Das zweite schnurkeramische Grab zeichnete sich im hellen Sandboden als ovale, dunkelbraune Verfärbung von 1,78 Meter Länge und 1,14 Meter Breite ab. Die dunkle Grubenverfüllung war annähernd West-Ost orientiert. Am westlichen Rand der Grabgrube kam das Unterteil einer zerdrückten Amphore zum Vorschein. Ein ähnliches, allerdings vollständiges Gefäß stand am Westende des benachbarten schnurkeramischen Grabes. Fast am Ostende der zweiten Grabgrube kamen dicht beieinander liegend die schnurverzierten Scherben eines Bechers, das Bruchstück eines Schleifsteines aus Sandstein und eine 6,2 Zentimeter lange Klinge aus hellgrauen, opaken Feuerstein zutage (Abbildung 1). Dieser Fundkomplex wurde in einem Gipsblock geborgen, um später das Gefäß kleben zu können.

Knapp dreißig Gramm schwarzes »Harz« allerbester Qualität in Platten

Nach dem Entfernen des Gipsverbandes wurden im Block ein weiteres Schleifsteinfragment und unterschiedlich große, flache Brocken eines schwarzen, sehr leichten, spröden Materials entdeckt (30 Gramm). Darauf waren deutliche Abdrücke von geflochtenen Fasern zu erkennen. Keramik konnte das nicht sein, aber das Material war einmal plastisch verformbar, sonst hätten sich ja die Fasern darauf nicht abdrücken können (Abbildung 2).

Viele Materialien lassen sich über die Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie identifizieren, vorausgesetzt, dass es sich um keine komplexen Mischungen handelt und/oder, dass man »Referenzen« vorweisen kann, das heißt: eine bekannte Vergleichssubstanz. Das Spektrum der Substanz zeigt, wie das Referenzspektrum einer modernen Birkenpechprobe, neben den üblichen »Ähnlichkeiten« auch die charakteristische Absorption bei 883 und 730 Wellenzahlen. Sie sind typisch für Birkenpech, bei anderen Pecharten, beispielsweise dem Kiefernpech, fehlen sie.
Es ist also Birkenpech, was an sich noch keine Sensation ist, denn dieses Material kennen wir in kleinen Stückchen bereits seit der Altsteinzeit. Das begehrte Material wurde seinerzeit gewonnen, indem man weiße Birkenrinde unter Luftabschluss und Temperaturen von circa 300 bis 400 Grad Celsius verschwelte. Das aromatisch riechende Material geht dabei aus den Schwelprodukten des Holzstoffes und den zu 25 Prozent in der Birkenrinde enthaltenen Terpenen (»harzähnliche« Grundstoffe) hervor, die bei gut gewählten Reaktionsbedingungen sich an tiefer liegenden, kälteren Zonen der »Versuchsanordnung« niederschlagen.

Die in der Hitze dünnflüssigen, in der Kälte klebrigharten, in der Wärme bei etwa 50 bis 70 Grad Celsius weichen, schwarze Massen haben Eigenschaften wie moderne Heißkleber und wurden in der Vorgeschichte auch genau so verwendet. Ihre Herstellung war ausgesprochen aufwändig und führte auch nicht immer zum Erfolg. Pech zu machen, war eine Kunst: Künstlerpech eben.
In Form kleiner Kügelchen kennen wir es zuweilen auch aus Bestattungen, wobei es als regelmäßige Grabbeigabe (vermutlich Räucherwerk) aber erst in eisenzeitlichen Urnenbestattungen auftritt. Die große Masse aber macht das Stück interessant, mit dreißig Gramm ist es das bislang größte in Mitteldeutschland gefundene prähistorische Pechstück. Doch vor allem das Flechtwerk aus Bastfäden, das sich als Negativabdruck so gut darin erhalten hat, macht es zu einem herausragenden Fund.
Es war wohl Teil eines größeren »Klebstoffvorrates«, der dem Bestatteten in einem Basttäschchen oder Bastbeutel mit in den Tod gegeben wurde, schließlich brauchte er auf seiner letzten Reise genügend »Flickzeug«, um Pfeilspitzen schäften oder Gefäße reparieren zu können.


Text: Jochen Fahr, M. Sopp, Heiko Breuer, Friedericke Hertel, Christina Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

C. H. Wunderlich, Pech für die Toten: Die Untersuchung von Urnenharzen aus Ichstedt. Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte 82, 1999, 211-220.

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