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Fund des Monats

August 2013: Eine Frau von Welt in Mammendorf

Im Vorfeld der Erweiterung des Hartsteinwerkes Mammendorf der Cronenberger Steinindustrie in der Hohen Börde westlich von Magdeburg wurden archäologische Untersuchungen durchgeführt. Dabei konnte hauptsächlich eine Siedlung der späten Bronze- bis frühen Eisenzeit dokumentiert werden. Knapp 700 Siedlungsgruben und etliche Grubenhäuser wurden auf einem Höhenrücken oberhalb des heutigen Dorfes Mammendorf vorgefunden (Abbildung 1). Diese Siedlung datiert etwa in das 8. und 7. Jahrhundert vor Christus, aber bereits zweieinhalbtausend Jahre davor haben Menschen erstmals das heutige Steinbruchgelände betreten. Verstreut zwischen den eisenzeitlichen Gruben fanden sich Bestattungen der spätneolithischen Baalberger Gruppe (circa 4200 bis 3100 vor Christus) und der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (2200 bis 1700 vor Christus).

Der schönste und spannendste Befund stammt jedoch aus einer anderen Zeit: Auf dem höchsten Punkt des Rückens, ungestört von den umliegenden eisenzeitlichen Abfallgruben, fand sich ein Grab der Hügelgräberbronzezeit.

Gerade in diesem Kuppenbereich ist der humose Oberboden nur etwa 30 Zentimeter mächtig, bevor der anstehende hellgelbe Löss zu Tage kommt. Durch jahrhundertelanges Pflügen und die daraus resultierende Erosion ist die Schwarzerde hier abgetragen und in den Senken angesammelt worden. Die Bestattung lag in geringer Tiefe nur knapp unterhalb des Pflughorizontes im Löss.
Das Skelett war einschließlich der fragilen Fußknochen sehr gut erhalten. Bei der vorsichtigen Freilegung kamen im Kopfbereich nach und nach die bronzenen Trachtbestandteile zum Vorschein: auf der rechten Kopfseite ein kleiner Spiralhaken, auf der linken Seite ein Bronzeröllchen sowie eine 20 Zentimeter lange Nadel mit doppeltem Spiralkopf, eine so genannte Brillennadel (Abbildung 2). Auf den Spiralen sind teilweise abgeschliffene, geritzte Verzierungen zu erkennen.

Aus der Kombination der Schmuckteile kann man ohne anthropologische Untersuchung des Skelettes schließen, dass es sich bei der bestatteten Person um eine Frau handelte.

Die Mammendorfer Brillennadel ist die bisher einzige ihrer Art in Sachsen-Anhalt, jedoch handelt es sich nicht um das einzige Grab der Hügelgräberzeit des Bundeslandes (Abbildung 3). Bei gutem Wetter ahnt man, wenn man von der Kuppe in Richtung Süden blickt, die Lage von Egeln. Dort wurde eine weitere mittelbronzezeitliche Hügelgrabbestattung entdeckt, allerdings mit Bezügen zur weiter nördlich liegenden Lüneburger Gruppe.
Die Brillennadeln werden der Fulda-Werra-Gruppe der Hügelgräberbronzezeit zugerechnet und sind somit vor allem in Nordhessen und Südthüringen zu finden. Vergleichsfunde mit ähnlicher Verzierung in den Spiralen stammen aus Dörrensolz und Schwarza in Thüringen.
Innerhalb der Brillennadeln gibt es eine große Variationsbreite, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass sie nicht, wie einfachere Nadelformen, aus einer einzelnen Gussform gefertigt werden. Stattdessen müssen sie aus zwei Teilen zusammengefügt werden. Unfertige Brillennadeln und Fragmente zeigen, dass wahrscheinlich zunächst Nadelschaft und eine Spirale hergestellt und die zweite Spirale anschließend damit verbunden wurde. Die Verbindung geschah im abgeflachten (hier verkratzten) Bereich des Nadelkopfes (Abbildung 4).

Diese Nadeln haben eine relativ lange Laufzeit und finden sich in der mittleren und späten Hügelgräberbronzezeit C1 bis C2, also von etwa 1500 bis 1300 vor Christus.
In den Hügelgräbern von Schwarza haben sich Bekleidungsreste erhalten. Sie zeigen, dass eine Nadel in dieser Lage seitlich am Kopf ein Tuch oder einen Schleier aus Wollstoff gehalten hat. Darauf weist auch die rötliche Patina am Schaft der Mammendorfer Nadel hin: vermutlich herrschte in diesem Bereich ein anderes Milieu, das heißt, dass dieser Teil im Stoff steckte, während der prächtige Spiralkopf frei blieb.
Nach diesen ersten Beobachtungen bleiben noch viele Fragen zum Mammendorfer Grab offen:
Wie bereits beschrieben, stammen sowohl Trachtbestandteile als auch Bestattungssitte, das heißt, gestreckt auf dem Rücken liegend als Körper beigesetzt, von auswärts. Damit ist es wahrscheinlicher, dass es sich um eine Frau auf Reisen gehandelt hat, als um eine Einheimische mit exotischem Schmuck.
Von Mammendorf nach zum Beispiel Schwarza in Thüringen sind es etwa 260 Kilometer, zu einer Zeit, als es noch keine Autobahnen gab und das Vorwärtskommen auf unbefestigten Straßen zu Fuß oder mit dem Ochsenkarren sehr mühsam gewesen sein muss, war diese Strecke schon eine kleine Weltreise. Was führte also die Reisende in die Hohe Börde?
Mit Spannung wird auch das Ergebnis der Radiocarbondatierung des Grabes erwartet – wurde es zeitgleich mit anderen, weit entfernten Gräbern mit Brillennadeln errichtet?
Wie schon der Name der Kulturgruppe – Hügelgräberbronzezeit - verrät, ist über der Grabgrube ein künstlich aufgeschütteter Hügel zu erwarten. Davon war in Mammendorf allerdings nichts mehr zu sehen. Sicherlich ist er im Laufe der Zeit durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung abgetragen worden. Die Frage bleibt, ob er zur Zeit der spätbronzezeitlichen Siedlung, also 600 bis 800 Jahre nach seiner Anlage, noch zu erkennen war. Erfolgte die Anlage der eisenzeitlichen Siedlungsgruben mit Absicht in einiger Entfernung?
Diese Fragen können hoffentlich durch weitere Untersuchungen geklärt werden.


Text: Kerstin Kühne
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

W. Kubach, Die Nadeln in Hessen und Rheinhessen. Prähistorische Bronzefunde XIII, Bd. 3, München 1977.

R. Feustel, Bronzezeitliche Hügelgräberkultur im Gebiet von Schwarza (Südthüringen), Weimar 1958.

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